brut und aufzucht

Ob ein Steinadlerpaar zur Brut schreiten wird oder nicht ist nicht vorherzusagen und unterliegt bereits im Winter der genauen Beobachtung der Reviervögel im Gebiet.Bevor es aber zu einer Eiablage kommt gibt es bereits früh im Jahr diverse Indikatoren welche den aufmerksamen Beobachter auf eine mögliche bevorstehende Brut hinweisen können.Paarungen finden bereits im Februar statt,müssen aber nicht immer in direktem Zusammenhang mit der Fortpflanzung stehen,sondern dienen auch der Paarbindung. Girlanden-/Balzflüge sind im Spätwinter vermehrt über dem möglichen Brutgebiet zu beobachten,auch Horstanflüge mit frischem Nistmaterial finden statt.Die Adler fliegen des öfteren auch mehrere Horste in ihrem Revier mit Material an und können sich aber auch erst kurz vor der Eiablage für die definitive Brutstätte entscheiden.Bei vielen Steinadlerpaaren konnte ich beobachten dass Horste,welche im Vorjahr  angeflogen wurden,im nächsten Jahr dann auch zum Bruthorst gewählt worden sind.Aufgebaute Steinadlerhorste erkennt man daran,das einzelne Zweige lose auf dem Horstrand liegen.Werden im März/April Lärchenzweige zum Bau verwendet,sind diese aufgrund der noch fehlenden Nadeln nicht immer als frisch zu erkennen.In den günstigsten Fällen tragen die Adler Fichten- und Föhrenzweige ein,welche durch ihre grüne Farbe auf einem sonst bräunlichgrauen Horst sofort auffallen,oder aber die Adler werden direkt bei ihren Horstbauaktivitäten beobachtet (siehe im Kapitel "Horste").

Das eintragen von Koniferenästen ist für Gerifvögel unserer Breitengrade ein typisches verhalten (auch Bussarde,Habichte oder Sperber tun das),ist aber beim Steinadler besonders ausgeprägt,was natürlich zu diversen Spekulationen über Sinn und Zweck diesen Verhaltens geführt hat (antiparasitäre und reinigende Wirkung,Signalfunktion u.a.).Verschiedenen Beobachtungen meinerseits in diversen Revieren lassen mich vermuten,dass es vielmehr mit dem notwendigen erhalten einer gewissen Temperatur während der Bebrütungs- und frühen Nestlingsphase zu tun hat (Thermoregulierung),gewissermassen einem verhindern der zu raschen Abkühlung während der natürlichen Abwesenheit des brütenden Altvogels (z.B.Jagd, Gefiederpflege in einem Nahen Baum,Revierverteidigung).

Ab Ende März bis Anfang April,wenn das Horstgebiet meistens noch unter tiefem Schnee liegt,legt das Steinadlerweibchen,im Abstand von wenigen Tagen,2 mehr oder weniger gefleckte,schmutzigweisse Eier welche es dann ziemlich genau 43 Tage lang,unabhängig von den Witterungsbedingungen ausbrütet.Einige Adlerweibchen legen nur ein Ei,was beim ehemaligen Adlerweibchen "Haut de Cry" fast immer der Fall war.

Während des Schlupfes scheint das Adlerweibchen weiter zu brüten.Dem aufmerksamen Beobachter entgeht aber nicht,dass der Altvogel nun etwas "höher" liegt,sich mehr bewegt und ständig unter sich in die Brutmulde blickt.

Frisch geschlüpfte Jungadler besitzen ein dünnes,weisses Daunenkleid (Erstlingsdaunen) welche aber bereits nach 7 bis 10 Tagen durch ein weiteres,dichteres Daunenkleid ersetzt werden.Die Eltern,vorallem das Weibchen,befinden sich ständig am Horst oder in der näheren Umgebung,auf einer alten Fichte zum Beispiel,und beobachten und überwachen die Gegend.Abwesenheiten sind, vorausgesetzt die Brut wird nicht durch unvorsichtige Menschen (Fotographen,Wanderer,Klettersport)  gestört,nur von kurzer Dauer und beschränken sich auf wenige Minuten.Der Jungadler wird immer wieder gehudert (die Eltern liegen auf dem Jungadler und halten ihn warm) und etwa alle 30 min.gefüttert,was aber von Paar zu Paar verschieden ist und auch mit der Erfahrung der Altvögel,der Horstexposition und territorialen Aktionen in Zusammenhang gebracht werden kann.Der Horst wird häufig mit frischen Ästen von Nadel- und Laubbäumen (je nach Horststandort) aufgefrischt.

Während den ersten 3 Wochen schafft grösstenteils das Männchen die Beute heran,die in Horstnähe oder im Horst deponiert und vom Weibchen verfüttert wird.Das Adlerweibchen "Val des Dix" liess während der Nestlingsphase im Jahr 2009 in den ersten Tagen das Männchen den Horst nicht anfliegen,welches das Futter dann auf einem nahegelegenen Felskopf deponierte.Die Brut misslang und der Jungadler ging in den ersten 3 Wochen ein.Das Adlermännchen "Pont de Nant" deponierte während der Aufzuchtperiode 2005 das Futter an einem etwa 1 Km weit entfernten,bewaldeten Felsenrand,der in direktem Sichtkontakt zum Horst stand.Das Weibchen benötigte wenige Minuten bis es das Futter geholt und zum Horst geflogen hatte.

Im Alter von 3 Wochen spriessen dem Jungadler die ersten Grossfedern und sind an den Schwingen und am Stoss als braune Punkte warnehmbar.Der Jungadler kann nun stehen und seinen Kot über den Horstrand spritzen.Er ist insgesamt aktiver,schläft weniger und beginnt sich seine Umgebung genau einzuprägen und zerrt an Futterresten herum,welche er aber noch nicht selbstständig zerlegen kann.Die Bettelrufe sind kräftiger und deutlicher zu hören.

Ab der 5.Lebenswoche wird der Jungadler für längere Zeitabschnitte alleine gelassen.Auch das Weibchen befliegt wieder weiter abgelegene Revierteile um zu jagen.Von Paar zu Paar ist dieses Verhalten aber verschieden und von diversen Faktoren wie menschlichen Störungen,Individuellen Eigenschaften oder Territorialverhalten beeinflusst.Der Jungadler ist etwa zur Hälfte befiedert,der Kopf ist noch immer flaumig und weiss.Er kann mittlerweile kleinere Beutereste selbstständig zerlegen.

Wenn der Jungadler seine 7.Lebenswoche erreicht hat,dehnen sich die Abszenzen der Altvögel oft auf mehrere Stunden aus.Der Jungadler frisst selbständig und hat gelernt,die eingetragene Beute selbst zu zerlegen.Der Jungadler ist sehr wachsam,beobachtet und registriert sämtliches in der Horstumgebung,am Talgrund und in der Luft.Tagsüber verbringt er seine Zeit mit der Pflege seines wachsenden Gefieders und schläft kaum noch.Bis zum verlassen des Horstes,was zwischen der 9.und 12.Aufenthaltswoche stattfindet, drehen sich die Aktivitäten des Jungadlers eigentlich nur noch um die Futteraufnahme und die immer intensiver werdende Gefiederpflege.Der Jungadler beginnt auch mit dem trainieren seiner Brust- und Schwingenmuskulatur,indem er sich im Geäst des Horstes festkrallt und mit den Schwingen schlägt...ein Zeichen für den bevorstehenden Ausflug!

Die gegenüber den Weibchen kleineren und auch leichteren Männchen,sind in der Regel etwas früher flügge (ab der 9. bis 10.Woche) als die weiblichen Jungadler (Aufenthalstdauer im Horst bis 12 Wochen).Zu erklären ist das mit der Körpergrösse und dem Gewicht einerseits,und der notwendigen Länge von Schwung- und Stossfedern,um den wohlgenährten Jungadler bei seinem ersten Flug auch erfolgreich tragen zu können,andererseits.Wie bereits erwähnt weisen die Weibchen eine grössere Spannweite und ein höheres Gewicht auf,hingegen zeigen die täglichen Wachstumsschübe des Grossgefieders (5 bis 10 mm) zwischen den Geschlechtern keine Unterschiede.Das für den Flug notwendige Verhältnis zwischen Gewicht und Flugfläche ist bei den Männchen demnach schneller erreicht.

Die ersten Flüge der Jungadler enden in den meisten Fällen nach einigen hundert Metern irgendwo auf dem Waldboden,im Gestrüpp oder dem Geäst eines Baumes.Der Flug ist sehr wackelig und unsicher.Sehr oft verbringen die Jungadler dann die nächsten Nächte auf dem Boden in der Nähe,wo sie potenziellen Gefahren wie Luchs und Fuchs ausgesetzt sind.Die adulten finden den oder die Jungvögel sehr rasch und fliegen die Stelle mit Futter an.Im Verlaufe der Tage wird der Jungadler dann öfters in der Luft beobachtet und entfernt sich weiter vom Horst.Oft kann er durch seine Bettelrufe lokalisiert werden.Die Verweildauer der Jungvögel im elterlichen Revier ist sehr Individuell und hängt von diversen Faktoren ab,in den meisten Fällen aber verlassen sie das Gebiet im Dezember/Januar und werden nicht selten von den Eltern relativ scharf angeflogen und mit Nachdruck aus dem Revier vertrieben.Von diesem Moment an beginnen ihre teils alpenweiten Ausflüge,auf der Suche nach Nahrung und später dann auch nach Möglichkeiten Revierinhaber zu werden,indem entweder ein neues Revier gegründet wird oder die Stelle eines ausgefallenen,alten Revieradlers übernommen werden kann.

Der Steinadler ist,wie z.B.der Bartgeier auch,zur Philopatrie veranlagt.Das heisst dass die Jungvögel nach schätzungsweise 2 oder 3 Jahren "Vagabundenleben" in das Gebiet/Region ihrer Geburt zurückkehren.

 

Fast flügges,etwa 9 Wochen altes Steinadlermännchen beim rufen,als einer der Altvögel unter dem Horst mit Beute durchflog.

Die äusseren Handschwingen,die Stossfedern und die Nackenfedern (Lanzettfedern) haben ihre endgültige Länge noch nicht erreicht.

 

Horst mit zwei fast flüggen Jungadlern (Weibchen links,Männchen rechts).2er-Bruten kommen relativ häufig vor,sind aber immer wieder ein besonderes und sehr interessantes Ereigniss,welches die Altvögel in diversen Belangen oftmals relativ stark fordert.

Den vorallem in der älteren Literatur immer wieder erwähnte Kainismus (der ältere Jungadler tötet das oft schwächere und jüngere Geschwister) kann ich heute kaum noch feststellen und wird durch längere Horstabwesenheiten der Altvögel hervorgerufen,was für die Jungadler Hunger und Stress bedeutet. Provoziert werden solche anhaltenden Abwesenheiten der Altvögel durch direkte menschliche Anwesenheit (unter anderem Belagerung des Horstes durch Fotographen) oder anderen Aktivitäten (Waldarbeiten, Flugsport,Wanderwege in der Nähe,Klettersport usw.),welche nicht selten unwissentlich erfolgen.Bei ungestörten Horststandorten an welchen die Altadler in regelmässigen Abständen den Horst mit Beute anfliegen können,kommt sowas kaum vor.Wohl muss aber bemerkt werden,dass die Fülle an potenzieller Beute noch nie so optimal war wie in den letzten Jahren,im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten,als die Menschen selbst zur eigenen Versorgung gezwungen waren in den Wäldern und Bergwiesen Jagen zu müssen und diverse Arten wie Gemse,Steinwild und Reh selten geworden oder gar verschwunden waren.

 

Der Steinadler kann sich während der Brut- und Aufzuchtszeit sehr diskret verhalten,so diskret dass eine erfolgreiche Brut,trotz Horstkontrollen und stundenlangem Beobachten im Revier,unbemerkt stattfinden kann.Oft meldet sich im Verlaufe des Sommers oder im Herbst der Zufall,indem man das betreffende,als nichtnistend geglaubtes Paar mit Futter entdeckt oder später mit einem bettelnden Jungadler antrift.In den allermeisten Fällen wurde in einem versteckten,unbekannten Horst gebrütet,bei welchem aus topographischen Gründen die An- und Abflüge nicht beobachtet werden können und es nun heisst, irgendwie ausfindig zu machen.

Der Bettelflug des jungen Männchens auf dem Bild oben fand im Oktober statt,als sich der Jungvogel bereits an weiter entferneten Orten und nicht mehr in Horstnähe aufgehalten hatte (in diesem Fall hatte der Jungadler bereits das breite Rohnetal überquert). Mehrere Jahre später konnte ich den mir damals noch unbekannten, abgelegenen und sehr versteckten Horst in einer alten Lärche an der Baumgrenze ausfindig machen.

Insgesamt können diese Bettelflüge bis spät in den Winter stattfinden,bevor die Eltentiere den Jungadler, teils mit erhöhtem Druck,aus dem Revier vertreiben um sich wieder dem neuen Brutgeschäft widmen zu können.